Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht by Steinke Ronen
Autor:Steinke, Ronen
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492963725
veröffentlicht: 2014-12-08T16:00:00+00:00
Warum der Atheist mit Jesus argumentiert (und nie wieder mit Moses)
Für Fritz Bauer beginnt mit den Vorbereitungen zum Auschwitz-Prozess eine Zeit, in der er selbst im Licht der Öffentlichkeit steht. Journalisten interessieren sich für den Mann, der Auschwitz vor Gericht bringen will. Der NS-Aufklärer Fritz Bauer, ein Jude, den viele Deutsche als übermäßig unbarmherzigen Ankläger betrachten, als einen Rächer der sechs Millionen, gibt Interviews, veröffentlicht Essays und Aufsätze, und so wendet er sich etwa 1958 an die Leserschaft der kirchlichen Stimme der Gemeinde mit einem Text, der die Todesstrafe ausdrücklich ablehnt (im Gegensatz zu manchen Bundesministern dieser Zeit), als denkbar klarstes Beispiel dafür, dass er allen Rachegedanken abhold sei. Mit der »Christianisierung der Staaten«, so zitiert Bauer darin den protestantischen Theologen Friedrich Schleiermacher, müsse das Bewusstsein dafür wachsen, dass die Todesstrafe nicht nur überflüssig und unwürdig, »sondern auch unsittlich« sei.
Dabei nutzt Bauer die Gelegenheit auch, um beiläufig klarzustellen, dass die jüdische Religion das Prinzip der Rache entgegen landläufiger Meinung keineswegs gutheiße. Wenn gleich zu Beginn des Alten Testaments die Geschichte von Kain und Abel stehe, so Bauer, dann nicht etwa als Beispiel für Verbrechen und Sühne. Vielmehr stelle, oft übersehen, die Vergebung Gottes für den Brudermörder Kain dort die eigentliche Pointe dar. Als Beispiel für die menschliche Fähigkeit zu vergeben führt Bauer noch den Fall des in der Weimarer Republik ermordeten Außenministers Walther Rathenau an: Nachdem Rathenau erschossen wurde, habe seine trauernde Mutter symbolisch ihre Hand ausgestreckt und der Mutter des Mörders in einem Brief ihre Vergebung übermittelt. Dass die Familie Rathenau jüdisch war, muss Bauer nicht erwähnen. Das darf er als bekannt voraussetzen. Deutlicher könnte er die Argumente gegen das Klischee vom rachsüchtigen Juden kaum versammeln.
Auffallend oft stellt er seine politischen Argumente jetzt auf ausnehmend christliche Füße. Bauer bezieht sich auf Jesus, er benennt die Reformatoren Luther, Calvin und Zwingli als seine philosophischen Gewährsleute. Er zeigt genaue Kenntnisse des Neuen Testaments und zitiert souverän aus Römerbriefen und Evangelien. In seinem 1957 veröffentlichten Buch Das Verbrechen und die Gesellschaft appelliert er an die Werte der »abendländischen Menschheit« und preist das Verzeihen nicht nur als Tugend, sondern als »christliche Tugend«.
Im November 1961, die gerichtliche Voruntersuchung zum Auschwitz-Prozess hat bereits begonnen, referiert er einmal auf der Landestagung der Kirchlichen Bruderschaft in Hessen und Nassau. Bauers Thema ist, wieso die formale Legalität der NS-Verbrechen nichts an ihrem verbrecherischen Charakter ändere, und der Jurist argumentiert dabei mit – protestantischer Theologie. Bauers Rede ist gespickt mit Zitaten evangelischer Geistlicher. Sie fügt sich in Tonfall und Haltung gut zwischen die Vorträge der beiden Theologen, die neben ihm referieren: Martin Niemöller und Hans-Werner Bartsch (»Der Staat ist nicht der liebe Gott«). Und als am Ende jemand aus dem Publikum wissen möchte, ob nicht »für einen Christen« das fünfte Gebot dem Tyrannenmord entgegenstehe, da antwortet Fritz Bauer nicht: Um das zu beantworten, bin ich der Falsche. Sondern: »Ich glaube, dass ich mich dazu ausführlich geäußert habe.«
Stets klingt es wohltemperiert und gutbürgerlich, wenn der linke, umstrittene Jurist seine Argumente durch die neuesten Beschlüsse des protestantischen Kirchentags 1957 bestätigt sieht,
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